von Carmen Epp

Ideale muss man sich erst leisten können

Mehr «good news» und weniger Eitelkeit im Journalismus – was Hans Leyendecker und Ulrik Haagerup dieser Tage propagierten, macht Mut. Und dürfte dem einen oder anderen Nachwuchsjournalisten Hoffnung geben. Doch mit der Hoffnung ist es schnell vorbei, wenn sie auf die Realität der Generation Praktikum trifft.

Journalismus dient der Aufklärung. So weit so bekannt. Doch klären wir wirklich auf? Stellen wir Dinge klar? Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung setzt ein grosses Fragezeichen dahinter. Er sprach kürzlich am Recherchetag der Journalistenschule MAZ in Luzern. Oftmals baue Recherche auf einer Verdachtsberichterstattung auf, sagte Leyendecker. Als Beispiel nannte er die Berichterstattung rund um den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff: Die Medien hätten den Prozess zu ihrem eigenen Zweck inszeniert. Und obwohl sich inzwischen herausgestellt hat, dass an den Vorwürfen wenig dran ist, treten sie noch immer auf Wulff ein.

Wenn Vorurteile auf Eitelkeit treffen
Die Gründe dafür sieht Leyendecker sowohl bei den Journalisten als auch bei den Lesern. Das Publikum wolle meist nur seine Vorurteile bestätigt sehen. Leser würden immer mehr mit dieser Einstellung an Geschichten gehen: überall Übeltäter und Schufte. Und es werde immer schwieriger, Leute zu finden, die etwas lesen, sehen oder hören wollen, das ihre Vorurteile widerlegen könnte. Dass die Journalisten ihrerseits dieses Spiel mitmachen, liegt laut Leyendecker an der Eitelkeit der Medienbranche. Viele Journalisten betrieben Recherche zum Selbstzweck; wollen gross rauskommen, Helden sein. Aufmerksamkeit sei zur neuen Leitwährung geworden, die Sucht der Journalisten nach Anerkennung nehme überhand. So sei immer mehr festzustellen, wie die Medien sich ständig versichern, wie wichtig sie sind und dass es sie noch gibt. Leyendeckers Urteil: Das ist schizophren! Er plädierte in seiner Rede am MAZ für mehr Ergebnisoffenheit und weniger Wut-Journalismus.

Ein falsches Bild der bösen Welt
Ähnlich kritisch zum Zustand des Journalismus liess sich dieser Tage auch Ulrik Haagerup verlauten. Der Infochef des dänischen Rundfunks berichtete am Forum Journalismus und Medien in Wien über «Constructive Journalism». Haagerup kritisierte, dass für die Medienbranche «nur Stories gut sind, die auf einem Konflikt aufbauen, einer dramatischen Situation, einem Opfer», alles andere – so die landläufige Meinung – sei Werbung und kein Journalismus. Durch dieses seit Jahrzehnten von praktisch allen Medien gelebte Prinzip, so Haagerup, zeichneten wir ein falsches Bild der Welt.

Er plädiert dafür, die Welt mit beiden Augen zu sehen und konstruktiv zu beschreiben. «Constructive Journalism» deckt auch Dinge ab, die funktionieren, statt nur darüber zu berichten, was schief läuft. Das sei entgegen den Einwänden vieler Journalisten kein Versuch, dem kritischen, investigativen Journalismus die Zähne zu ziehen, so Haagerup. «Ich will preiswürdigen Journalismus, der Fehlentwicklungen aufdeckt. Aber: Nicht nur kritischer Journalismus ist Journalismus. Eine gute Story braucht nicht zwingend Bösewichte, Skandale, Konflikte.» Konstruktiver Journalismus könne auch verdammt gute Stories liefern, weil sie die Leute inspirieren. Als Beispiel nennt er eine Geschichte über den Vater eines Autisten, der eine Beratungsfirma gegründet hat, die nur Autisten beschäftigt. «Alle achten nur auf die Fähigkeiten, die seinem Sohn fehlen. Aber nicht auf jene, die er hat.» Hier setzt «Constructive Journalism» an.

Worte werden nicht umgesetzt
Mehr good news, weniger Eitelkeit und Gockeltum im Journalismus – das sind löbliche Worte. Und sie stossen bei Kolleginnen und Kollegen auf spontane Zustimmung. Zu glauben, dass sich deswegen nun die ganze Branche wandelt, wäre naiv. Trotzdem lohnt es sich, die Frage zu stellen, wieso solche Worte meist nur Worte bleiben und selten in die Tat umgesetzt werden. Ich behaupte: Es liegt weniger am Willen als an den Umständen.

Ideale werden gemeinhin zwei Altersgruppen zugewiesen: der Jugend und dem Alter. Aussagen darüber, wie die Welt idealerweise sein sollte, gelten entweder als naiv oder altbacken. In der Pubertät will man die Welt verändern, sie besser machen. Dann nimmt die Adoleszenz die Ideale immer mehr im Zaum; aus ihnen er-wächst das, was wir Reife nennen. Ist man schliesslich alt, hält man sich für weise und alles Vergangene für viel besser. Die «alten Hasen» und die «Jungspunde» haben also eines gemeinsam: Ideale. Was sie trennt, sind die Umstände, in denen sie leben und die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Schattenseiten eines Privilegs
Der Jungjournalist, meist in einem Praktikums- oder Volontariatsverhältnis, ist zu allererst einmal froh darüber, überhaupt als Journalist arbeiten zu können. Es war schon immer sein Traumberuf, schon immer wollte er davon leben können. Der Markt ist umkämpft, hinter jedem Nachwuchsjournalist warten zehn andere darauf, seine Stelle zu kriegen. So nimmt der Jungjournalist auch gerne die Schattenseiten seines Privilegs in Kauf: der tiefe Praktikumslohn, der geringe Status als Volontär und nicht zuletzt das kaum vorhandene Mitspracherecht darüber, was er als Journalist soll, darf, muss. Für Idealismus ist in diesem Umfeld wenig Platz.

Zugegeben, ich zeichne hier ein düsteres Bild. Es gibt auch Jungjournalisten, die in einem Umfeld arbeiten, wo sie sich einbringen und ihre Ideale verwirklichen können. Auch ich zähle dazu. Doch dieses Glück wird längst nicht allen zuteil. Und das ist nicht einfach eine pessimistische Mutmassung, sondern fusst auf Erfahrungen mit Jungjournalisten, die ich während meiner Ausbildung am MAZ kennengelernt habe.

«Ich hatte keine andere Wahl»
Da gibt es zum Beispiel die junge Journalistin, die auf Geheiss des Chefs ein Vergewaltigungsopfer anrufen musste – und das wenige Tage nach der Tat und selbstverständlich ohne, dass das Opfer das gewollt hätte. Die Reaktion ihrer Mitstudierenden am MAZ: «Krass, und das hast Du getan?!» Ihre Antwort war so bitter wie bezeichnend: «Ja, hatte ich denn eine andere Wahl?» Das mag nach einer billigen Ausrede klingen. Sie wollte nicht, der Auftrag des Chefs widerstrebte ihr zutiefst, und klar hätte sie ablehnen können. Der Gedanke an all die Mitbewerber, die sie im Bewerbungsverfahren hinter sich liess und die immer noch auf ihren Posten lauerten, liess sie schliesslich einlenken.

Ähnlich ging es einem jungen Journalisten, ebenfalls in Ausbildung am MAZ. Er wähnte sich während einer Recherche auf der Spur eines handfesten Skandals. Der Ressortleiter ermutigte ihn, dran zu bleiben. Als dann aber die Geschichte eine andere Wendung nahm und sich der anfängliche Verdacht als unbegründet herausstellte, hiess es vom Ressortleiter: Gegenbeweise weglassen, Hauptsache die These geht auf. Am Ende habe er sich geschämt für den Artikel, der «mehr Lüge als Wahrheit» war. Den Widerstand hat auch er für sich behalten. Aus Angst und voller Ehrfurcht vor diesem Privileg, sich «Journalist» nennen zu dürfen.

Und das sind – leider! – keine Ausnahmen. Mehr als die Hälfte der Jungjournalisten, mit denen ich am MAZ zu tun hatte, konnte von solchen Erlebnissen berichten. Und auch wenn mir solche Geschichten jeweils zutiefst widerstreben: Böse sein kann ich ihnen nicht. Nur zu gut kann ich ihre Situation nachvollziehen. Auch ich schätze ich mich glücklich über das Privileg, meinen Traumberuf ausüben zu können. Umso dankbarer bin ich, dass ich mich in meinen vier Jahren Berufserfahrung noch nie so verbiegen musste.

Privilegiert auf der Sonnenseite
Diese Probleme haben die «alten Hasen» nicht (mehr). Entweder wurden sie bereits – böse ausgedrückt – so erfolgreich sozialisiert, dass es ihnen nichts mehr ausmacht, sich zwischendurch auch mal zu verbiegen. Dazu gehört wohl der Grossteil der Journalisten. Daneben gibt es noch den kleinen Rest, der sich seine Ideale bewahrt und sie nach wie vor lebt. Zu diesen Personen gehören wohl auch Leyendecker und Haagerup. Sie leben und arbeiten auf der Sonnenseite des Berufs, verglichen mit der Situation der genannten Jungjournalisten. Sie können sich ihre Prinzipien leisten, ohne um ihre Anstellung bangen zu müssen. Und dann voller Überzeugung öffentlich darüber reden, wie der ideale Journalismus aussieht, auszusehen hätte – wenn denn nur alle so wären wie sie.

Leserbeiträge

Jeeves 07. Februar 2014, 10:27

Die „Sonennseite“ ist den „Großen“ der Branche nicht zugeflogen (vermute ich). Man muss etwas tun, womöglich mehr tun als die anderen, besser sein, Ideen haben, Mut haben (was auch daneben gehen kann; deshalb nennt man’s „Mut“).
Auf „die da oben“ neidisch zu schauen oder gar auf ihnen herumzuhacken weil sie auf der „Sonnenseite“ stehen, ist nur traurig und bringt einen nicht weiter.
Ich arbeite in der Musikbranche und habe auch „klein angefangen“ (ja: schwere Lautsprecherboxen geschleppt); indem ich einfach MEHR tat als verlangt, indem ich mir MÜHE gab, kann ich heute gut davon leben und solch gutgemeinte Ratschläge geben 🙂
Der inzwischen erfolgreiche Musiker, mit dem ich seit 40 Jahren zusammen arbeite, hat in seiner Anfangszeit bei Aldi Regale aufgefüllt, bei der Post ausgeholfen… und an seiner Musik hart gearbeitet.

Vielleicht ist Charles Chaplin glaubhafter als ich? Dashalb, aus meiner Zitatensammlung:
„‚Genie‘ ist die Fähigkeit, sich unendlich Mühe zu geben.“

Carmen Epp 07. Februar 2014, 11:23

Natürlich sind die besagten Journalisten nicht «einfach so» auf der Sonnenseite der Branche gelandet, und natürlich haben sie hart dafür gearbeitet, härter vielleicht als viele andere. Das will ich auch gar nicht abstreiten. Daraus Aussagen abzuleiten wie «Wer will, der schaffts auch» und im Umkehrschluss «Wer’s nid geschafft hat, hat zu wenig dafür getan» – das scheint mir allerdings auch etwas zu einfach. Oder würden Sie besagten Jungjournalisten, die in zehn Jahren vielleicht noch immer in der selben Mühle sitzen, entgegnen, sie hätten es halt bloss «nicht genug fest gewollt»?

In meinem Beitrag geht es ausserdem nicht so sehr darum, wie man als Journalist zu Erfolg kommt. Sondern wie man es schafft, seine Prinzipien, seine Ideale von Ergebnisoffenheit, Aufklärung ect. leben zu können. Und auch hier braucht es – ähnlich wie beim klassischen Erfolg – ein Zusammenspiel vieler Faktoren: Der Wille muss gross sein, die Umstände müssen Wachstum ermöglichen, und auch ein kleines Quäntchen Glück gehört dazu. Der Wille ist beeinflussbar und bei ganz ganz vielen Jungjournalisten sehr gross. Die Umstände aber und auch das Quäntchen Glück – darauf haben die wenigsten Einfluss, und ganz sicher nicht wir Jungen. Leider.

Michael Kieweg 07. Februar 2014, 11:14

Die Situation des Journalismus und der Journalisten wird sich nur bessern, egal ob in deutschland, der Schweiz oder sonst wo, wenn angehende Journalissten sich ihre Ideale nicht mehr (so einfach) abkaufen lassen. Das klingt jetzt naiv und idealistisch. Ich bin mir durchaus bewussst, daß es nicht einfach ist und mit großem Verzicht – im Extremfall dem Verzicht auf den Beruf – verbunden sein wird.
Dennoch bleibt es meiner Meinung nach der einzige Weg.
Es stellt sich für mich beispielsweise die Frage: „Warum will jemand Journalist werden?“ Daran schließt sich die nächste Frage an. „Könnte er dieses Ziel nicht auch außerhalb des klassischen Journalismus verwirklichen? Muss er sich wirklich dem Medienzirkus unterwerfen und sich zum Hanswurst von Auflagen und Marketingstrategien machen lassen?“
Ich stelle mir vor, daß die junge Dame, die das Vergewaltigungsopfer anrufen musste, den Auftrag verweigert und stattdessen die Möglichkeiten des Internets nutzt, um mit dieser Sauerei auf eigene Faust an die Öffentlichkeit zu gehen.

Naive Gedanken eines Konsumenten, der aus Unmut über die Laberbacken und Hofberichterstatter unter den „Journalisten“ keine Zeitungen und Zeitschriften mehr bezieht.

Carmen Epp 07. Februar 2014, 23:48

Was Sie schreiben, ist tatsächlich «naiv und idealistisch» – und vielleicht gerade deswegen richtig. Letztlich kann jeder Journalist für sich selber entscheiden, wie viel ihm seine Ideale wert sind. Und notfalls die Reissleine ziehen, sprich: die Stelle oder gar die Branche wechseln. Das wäre eigentlich der einzig richtige Weg, den auch ich mir offen halte, sollte ich an einer künftigen Stelle vielleicht mal in berufsethische Bedrängnis kommen. Trotzdem wäre es schade.

Helmut Schell 07. Februar 2014, 12:27

Sehr geehrte Frau Epp,
ein kleines Beispiel über das Verhalten von Herrn Leyendecker. Nach meiner letzten Mail bekam ich keine Antwort mehr:

Von: Helmut Schell
Gesendet: Freitag, 12. Oktober 2012 10:43
An: Leyendecker, Hans; Forum
Betreff: Il Biondo – SZ vom 12.10.2012

Also das ist schon sehr schwach, sehr geehrter Herr Leyendecker, wieso sollte der junge Helmut Haller wegen seines schmächtigen Oberkörpers “Bua” genannt werden?
So einfältig sind die bayerischen Schwaben nicht.
Bua heißt Bub, Sie würden wahrscheinlich „Junge“ zu so einem Wesen sagen, ob mit oder ohne schmächtigem Oberkörper.
Hallers Spitznamen war Hemad, hochdeutsch Hemd, weil er als Bub wie ein loses Hemd daherkam.
MfG
Helmut Schell

From: Leyendecker, Hans
Sent: Friday, October 12, 2012 10:44 AM
To: Helmut Schell
Subject: AW: Il Biondo – SZ vom 12.10.2012

Sehr geehrter Herr Schell,
danke für die Mail. Er wurde ´Bua`genannt, weil er wegen seines schmächtigen Oberkörpers wie ein Bub aussah. Darüber besteht in der Haller-Literatur, die es gibt, Einigkeit.
Herzlich
Hans Leyendecker

From: Helmut Schell
Sent: Friday, October 12, 2012 11:01 AM
To: Leyendecker, Hans
Subject: Re: Il Biondo – SZ vom 12.10.2012

Sehr geehrter Herr Leyendecker,
die einschlägige Haller-Literatur kenne ich nicht, dann steht halt da der Blödsinn drin.
Allerdings kannte ich Helmut Haller, den besten Halbrechten der je für Deutschland gespielt hat.
Ich habe seit meiner frühesten Kindheit beim BCA zugeschaut. Raten Sie mal, wie die Zuschauer Haller genannt haben? –
Haller wohnte 200 m von unserem Haus entfernt und trank beim Bäcker um die Ecke seinen Kaffee. Die letzten Jahre leider nicht mehr.
Als ich ein Bub war, hatten wir gegen den BCA im Durchschnitt 8 zu 1 verloren und ich war der Halbrechte bei uns.
Fragen Sie mal wegen seines Spitznamens bei der AZ nach. Manchmal ist die Konkurrenz besser.
Beste Grüße
Helmut Schell

Nachdem ich Sie auf die AZ verwiesen hatte , schaute ich gleich mal im Internet nach, denn die AZ habe ich nicht abonniert.
Und was steht da?
“Mit 17 Jahren gab „Hemad“ – so sein Spitzname, weil er ein schmächtiger Spieler war – sein Debüt in der ersten Mannschaft”.
Herzlichst
Helmut Schell

wolfgang frey 07. Februar 2014, 20:33

ich denke, es geht am ende nicht um sonnen- oder schattenseiten. es gibt tausende kollegen, die auch im schatten besserer arbeitsbedingungen jeden tag gute arbeit leisten. sie haben einfach ein gefühl für eine gewisse arbeitsethik und ihre aufgabe als journalisten. und sie können sich am nächsten tag in den spiegel schauen. auch in anderen branchen muss man manchmal.den job wechseln, weil man instrumentalisiert wird.

und: „ruhm“ ist in unserer branche nicht immer ein qualitätsausweis. er sollte schon gar nicht das ziel sein.

machen wir doch einfach unseren job.

Carmen Epp 08. Februar 2014, 16:59

Wie im obigen Kommentar bereits angetönt, geht es mir in meinem Beitrag nicht so sehr um Ruhm. Mit Sonnen- oder Schattenseiten meine ich demnach auch nicht Erfolg oder Misserfolg, sondern die Frage, ob man als Journalist morgens noch in den Spiegel blicken kann. Journalisten mit einem «Gefühl für eine gewisse Arbeitsethik und ihre Aufgabe» – wie Sie es nennen – brauchen auch ein Umfeld, in dem sie diesem Gefühl nachleben können. Und das besteht leider nicht überall.

Mary 07. Februar 2014, 21:04

Ein schwacher Artikel. Natürlich ist die Systemfrage immer zu stellen, wenn man Neuerungen in Angriff nimmt. Jedoch verstehe ich auch nicht ganz, wieso man sich als sog. Jungjournalist so dermaßen verbiegen lassen muss, um Artikel zu schreiben, die eher der Lüge als der Wahrheit entsprechen. Dann kann man sich die tolle Journalistenschule auch gleich sparen, denn ich glaube nicht, dass sowas dort gelehrt wird. Welche Kriterien man an seine Arbeit legt muss immer jeder für sich entscheiden, auch wenn die systematischen Verhältnisse nicht die besten sind. Die sog. Jungjournalisten sind diejenigen, die heute für ihre Zukunft arbeiten. Wenn sie Lügen verbreiten oder reißerische Artikel verfassen, wird ihnen der Leser in Zukunft nicht mehr glauben und ihre Artikel nicht mehr lesen wollen. Den Zustand haben wir bereits überall heute. Sie sollten sich also sehr genau überlegen, was sie da jeden Tag so zusammenschreiben, auch wenn ihnen der Chef am Kragen sitzt.

Carmen Epp 08. Februar 2014, 17:06

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, würden Sie jenen Jungjournalisten, die sich durch den Chef im Nacken verbiegen lassen, raten, die Stelle oder gar die Branche zu wechseln? Wenn das alle täten, wäre das gut – und die Chefs müssten sich überlegen, wieso ihnen alle Journalisten «davonrennen». Solange es aber Leute gibt, die diese widrigen Umstände auf sich nehmen, wird sich an der Branche nichts ändern. Übrig bleiben dann jene, die das Glück haben, nicht in einer solchen Umgebung arbeiten zu müssen. Und der grosse Teil derjeniger, denen sowas wie Arbeitsethik wenig bedeutet. Womit die Kluft nur noch grösser würde.

Knut Kuckel 08. Februar 2014, 02:38

Hans Leyendecker antwortet mit Zeitverzug in der Kommentarspalte der Medienwoche auf eine Frage von Herrn Schell. Das ist ebenso ungewöhnlich wie erfreulich.

Mir gefällt in diesem Zusammenhang auch, dass Frau Ebb es schafft, zu Ihrem lesenswerten Artikel über den Recherchetag mit Herrn Leyendecker eine inhaltlich gute Leser-Debatte in Gang zu setzen.

Genau über diese Möglichkeit der Schreiber-/Leser-Kommunikation diskutiert man zurzeit in Journalisten-Kreisen. Und ich finde, so sollte es auch sein.

Frau Ebbs Anregung, auch über Twitter zu diskutieren, ist gerade von der Wirtschaftsjournalistin Claudia Toedtmann (Wirtschaftswoche) aufgegriffen worden:

https://twitter.com/CarmenEpp/status/431923481920290816

Marco Müller 09. Februar 2014, 05:21

Hallo Carmen,

wie ergebnisoffen – ein schreckliches Wort; kann man nicht wenigstens neutral oder unvoreingenommen sagen? – ist eigentlich ein Hans Leyendecker?

Es ist derselbe Journalist, der mit Sprüchen und Taten lebt, die sinngemäß folgendermaßen aussehen:

– „Der 11. September war, wie er war“ – das klingt wie: der Himmel ist blau, weil er blau ist
– Er plädiert laut Deinen Zeilen „für mehr Ergebnisoffenheit und weniger Wut-Journalismus“. doch er lebte diesen Wut-Journalismus vor und mit; etwa in „Affen der Angst“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/bingo-bibber-affen-der-angst-1.312421) oder einem Interview auf RadioEins (http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/kein-krieg/hintergrund/index-rezension-0007.html). In manchen Dingen scheint er sehr „ergebnisverschlossen“ und eitel zu sein.
– Abseits jeglicher Verschwörungen oder deren Theorien entsetzt es mich, daß ein solcher Journalist die deutsche Sprach nur halb beherrscht: Er ist Gründungsmitglied des Vereins „Netzwerk Recherche“. Dabei gibt es das Wort Netzwerk im Deutschen nicht; es ist bloß wieder eine falsche Übersetzung aus dem Englischen.

Oder käme irgendjemand auf die Idee, ein Spinnennetz ein Spinnennetzwerk zu nennen? Oder, wenn wir vernetzt sind, dies als vernetztwerk zu bezeichnen?

Dein Artikel kam mir wie ein Slalomlauf aus Zustimmung und Ablehnung vor. Doch letztlich kann ich Dir nur zustimmen, wenn Du abschließend schreibst: „Und dann voller Überzeugung öffentlich darüber reden, wie der ideale Journalismus aussieht, auszusehen hätte – wenn denn nur alle so wären wie sie.“

Da lobe ich mir einen Wolf Schneider. Er war und ist eher konservativ, aber zumindest stets prinzipientreu!

Philip Kübler 10. Februar 2014, 13:25

Danke, Carmen Epp: ein ehrliches Suchen nach der Versöhnung von journalistischem Idealismus und realem Pragmatismus der Medien, die es natürlich nicht zuletzt auf Rezipientenzuspruch und Werbeumsatz abgesehen haben.
Ein Stück weit kennen viele Berufe dieses Problem – Ärztin, Jurist, Unternehmer, Forscherin, Werber. Sobald ein Mitdenken, Entscheiden und Gestalten verlangt wird, treten Ziel- und Loyalitätskonflikte auf. Geht dies im Schoss einer Institution vor sich, dann drängen Fragen: Wann sage ich „nein“, wieviel riskiere ich? Wann pfeife ich und wie?
Zum Standardproblem „schöner Berufe“ kommt für die Journalisten/innen vielleicht hinzu, dass sie Kommunikations- und Vertrauensgüter schaffen, deren Defizite den Lesern und Zuschauern trickreich verborgen werden können. Grosse Einladung zu allerlei Shortcuts! Der zweite Unterschied im Journalismus, wenn man Carmen Epp liest: Die Arbeitsplatzsicherheit und damit die Lust an Zivilcourage schwächelt. Man wagt nicht mehr immer, das in der Ausbildung Gelernte auch den Praktikern zu vermitteln, die man nun antrifft.
Angehörige eines Berufsstandes, und der Journalismus ist ein solcher, müssen sich intern melden und wehren dürfen, besonders wenn die Leserschaft irregeführt oder geringgeschätzt zu werden droht. Der Weg liegt wohl nicht im blanken Opponieren, Idealisieren und Trotzen, sondern in sorgfältigeren Techniken des Verhandelns.
Es braucht Geschick, um auf eine überzeugende Weise „lieber nein“ oder „anders“ zu sagen, und dabei weder die Beziehung zum Gegenüber zu zerstören noch die eigene Geltung zu schwächen. Doch es kann geübt werden und braucht wohl den Aufbau über die (frühen) Jahre einer Berufskarriere. Tut man es erfolgreich, so entwickelt man die eigenen Berufsprinzipien und fördert seine Autorität im Rahmen einer Organisation. Nicht zuletzt zum Vorteil der Ideale, für die man einsteht. Es besteht kein Anlass, ausgerechnet in den Berufsjahren den eigenen Werten und Tugenden eine Pause aufzuzwingen, oder?

Clyde Burke 11. Februar 2014, 07:31

Der letzte Abschnitt klingt recht zynisch. Life is a bitch, dear Carmen…